Martin Peichl

Martin Peichl hat bereits mehrere Bücher publiziert, so etwa 2019 „Wie man Dinge repariert“, 2020 dann bei Kremayr & Scheriau „In einer komplizierten Beziehung mit Österreich“ und beim selben Verlag 2021 „Gespenster zählen“. Für 2024 ist sein nächster Roman geplant. Er lebt in Wien, wo er nicht nur schreibt, sondern auch literarische Anlässe veranstaltet. 

Laudatio zum Förderpreis 2022

“Die friedlichste in der Natur vorkommende Umverteilung“ von Martin Peichl


Der Text, den Martin Peichl beim Harder Literaturpreis eingereicht hat, trägt den wundersamen Titel «Die friedlichste in der Natur vorkommende Umverteilung.» Es ist in der Tat eine friedliche Szene, die sich abspielt, keine Frage, und sie spielt sich an einem ganz normalen Vormittag ab im Leben eines Menschen, von dem wir so gut wie gar nichts wissen.
Wir wissen, dass dieser Mensch sich in der Wohnung seiner Freundin befindet, mit der er – oder sie? – noch nicht allzu lange zusammen zu sein scheint. Und wir wissen, dass dieser Mensch gerade aus Träumen aufgewacht ist, und darüber staunt, «wie viel von einem anderen Leben manchmal in eine einzige Nacht passt.»
Und da sind wir auch schon. Mitten in den Parallelwelten, mitten in einem Zustand der Verwirrung, obschon die Situation eine glasklare ist: es sitzt eine Füchsin im Flur. Und sie schaut.
Oder schaut der Mensch?
Der Mensch zieht sich vorerst ins Schlafzimmer zurück, und spätestens hier wird klar, wir befinden uns inmitten eines Kammerspiels des Existentiellen. Subtil kippen die Verhältnisse hin und her, die Geisteszustände, die Hierarchien zwischen Mensch und Tier.
In einer äusserst präzisen Sprache schildert Martin Peichl das wenige, das passiert, die Vermutungen, die Unsicherheiten, die verschiedenen Strategien, die der Mensch sich ausdenkt, um die Situation zu bewältigen, um mit der Füchsin in Kontakt zu kommen.
Derweil die Dramatik im Psychologischen liegt, liegt in der Sprachwahl die Dramaturgie: stellt sich dieser Mensch zunächst Fragen, versucht er anschliessend, die Kontrolle über die Situation zu behalten, das Tier zu beherrschen, es unschädlich zu machen, und sein Vokabular gewinnt zunehmend an Vehemenz, bis es an Kriegslexik nicht mehr nur grenzt.
Dabei bleibt es aber nicht, denn dieser Mensch wird zur Einsicht gebracht, es kommt zum Kontaktversuch mit der Füchsin, er versucht, die Sprache dieses Tieres zu erlernen, versucht, zu lösen, was den Menschen vom Tier noch unterscheidet.
Die Erzählung «Die friedlichste in der Natur vorkommende Umverteilung» ist eine Parabel auf das Menschsein, auf das Fremde, auf das, was uns voneinander trennt, sie ist ein Ausloten der vermeintlich gegebenen Verhältnisse, zur Natur, zu den Lebewesen, zur Sprache selbst, und sie ist ein Plädoyer für Schritte aufeinander zu, über die Sprache hinaus.

(Für die Jury: Tabea Steiner)