Laudatio zum Förderpreis 2020

„am wasser“ von Helene Proißl

Sehr verehrte Gäste, liebe Literaturbegeisterte,

lange vor Corona geschrieben – vermutlich im Herbst, jedenfalls vor Dezember 2019 – beginnt Helene Proißls Text mit zwei Handlungen, die mit den Hygienemaßnahmen und Reisebeschränkungen für uns alle zu zentralen Themen geworden sind: Hände waschen und verreisen. Doch auch ohne die Erfahrungen mit Corona wären und sind die ersten Worte dieses Wettbewerbsbeitrags ergreifend! Sie erzeugen einen Sog, dem kaum zu widerstehen ist und der uns weit weg bringt von Alltagssorgen und -gedanken: „habe meine hände gewaschen und bin auf die insel geflogen. für ein wellenerlebnis und ein paar fröhliche gesichter.“
Ein Großteil der Einsendungen zum Harder Literaturpreis kreisten um das Urlaubsmotiv und die Sehnsucht nach dem Meer. Ein Beitrag jedoch ragte dabei aufgrund seiner Rhythmik, seiner kunstvollen Sprachverwendung und Textgestaltung besonders hervor: Helene Proißls Text mit dem schlichten Titel „am wasser“, ausgezeichnet mit einem der zwei diesjährigen Förderpreise.
Wenig Handlung, viele intensive Bilder, sehr verdichtete und spielerische Sprache: „am wasser“ nimmt uns Leser*innen mit auf die Reise zum idealtypischen Urlaubsort mit den bekannten Parametern: Salz, Wasser, Sand – einer Insel im Meer mit Sandstrand; aber eben auch mit dicht an dicht gereihten weißen Hotelkomplexen, mit dicht an dicht gereihten Handtüchern am Badestrand. Und dennoch ist all das im Text nebensächlich, geht es doch um die individuelle Erfahrung des Ichs, das sich mit zunehmender geografischer Nähe dieses „konkreten ortes“ immer mehr vom anfangs begehrten (Meer-)Wasser entfernt. Dieses Paradoxon wird einem Kammerspiel ähnlich durchgespielt: Das beglückende Wellenerlebnis, das vergnügliche Eintauchen in die Wogen, alles, was das Urlaubserlebnis schlussendlich ausmacht, erlebt das Ich im Hotelzimmer. Dabei stören zwar „die freundlichen mienen des putzpersonals“ immer wieder, die Intensität des Erlebnisses und die Freude daran zu zerstören, vermögen sie jedoch nicht. „ich haue mich wieder in die wellen, mit voller wucht diesmal, so richtig unbarmherzig, sodass das bett knarzt.“
Auch auf der Rückreise bleibt das Ich völlig auf sich konzentriert, beobachtet die Leute am Flughafen aus einer Ecke heraus und lässt sich nur widerwillig auf ein Gespräch ein. Ein schönes Urlaubserlebnis könne nicht geteilt, sondern müsse selbst erarbeitet werden, „sonst ist es doch nicht wirklich“, beendet das Ich die Unterhaltung mit seinem Gegenüber, dem „fremden gesicht“, abrupt. – Wieder zuhause wird es sich übrigens „seit dem urlaub“ näher am Wasser fühlen.
Der gesamte Text kommt ohne konkrete Beschreibungen und ohne Namen aus, weder Orte noch Figuren werden benannt. Das Nebensächliche rückt weit weg vom Ich und seinen Empfindungen, Figuren werden auf Gesichter reduziert, Orte auf einzelne charakteristische Merkmale, und trotzdem wirkt alles unglaublich vertraut. Der Autorin gelingt es, das Ringsherum – Kulisse wie Nebenfiguren – indirekt und sehr minimalistisch, gleichzeitig jedoch äußerst wirkungs- und eindrucksvoll zu beschreiben, und dadurch dem Ich und seiner Beziehung zum Wasser – und zwar in mehreren Formen – unendlich viel Raum zu geben.
Beeindruckend ist die kunstvolle und spielerische Verwendung der Sprache, die mit ihrer Rhythmik, Intensität und Kreativität den Text zu einem poetischen Lese- und Hör-Erlebnis machen, das auch immer wieder ein Schmunzeln hervorlockt.

Herzlichen Glückwunsch der Autorin dieses außergewöhnlichen Textes, herzlichen Glückwunsch Helene Proißl!

(Für die Jury: Manuela Schwärzler)