Über den 14. Harder Literaturpreis

Alles begann wie immer…

Wie immer, das ist in diesem Fall jedes zweite Jahr, hat sich die Jury im Sommer vor der Vergabe des Harder Literaturpreises Gedanken zum Thema der nächsten Ausschreibung gemacht. Inspiriert von der Lage Hards, voller Euphorie und Vorstellungen von wunderschönen Lesungen am Seeufer, Dorfbach oder an der Achmündung, kurz gesagt „am Wasser“, fiel die Entscheidung genau dafür. Und so wurde im Herbst 2019 der 14. Harder Literaturpreis zum Thema „Am Wasser“ ausgeschrieben. Als Datum für die Preisverleihung und Eröffnung des Literaturfestivals HardCover wurde der 15. Mai 2020 festgelegt.
Wie immer erreichten Einsendungen aus fast allen Kontinenten das Harder Gemeindeamt, dieses Mal allerdings um einige mehr als letztes Mal: 688 gültige Beiträge, das heißt rechtzeitig eingetroffene, bisher unveröffentlichte, im Original auf Deutsch verfasste Prosatexte, wurden in Kisten sortiert und den Jurymitgliedern* kurz vor Weihnachten 2019 übergeben.
Und wie immer begann damit das anonyme Auswahlverfahren, bei dem jeder Text von mindestens zwei Juror*innen gelesen wird und keine*r der Juror*innen die Namen der Autor*innen kennt. Es folgten die üblichen Lese- und Auswahlrunden, bis sich Ende Februar 55 Favoriten herauskristallisierten. Diese sollten – wie immer – in einer abschließenden Klausur Mitte März ausführlich diskutiert werden, bis am Ende die Siegertexte feststehen. Doch dann kam Corona und alles war anders. Eine neue Regelung des abschließenden Entscheidungsprozesses musste her und in der Not folgen neue Leserunden und Austausch-Mails unter den Jurymitgliedern.
Nicht wie immer fand schlussendlich die Entscheidungsdiskussion verkürzt und per Video-Konferenz statt: knapp drei Stunden vor dem Bildschirm anstatt knapp acht Stunden am gemeinsamen Tisch. Das war zunächst gewöhnungsbedürftig, funktionierte aber überraschend gut – sowohl was die Technik anbelangt als auch die Diskussion an sich. Und so stand an Ende fest: Der Harder Literaturpreis 2020 geht an Sonja M. Schultz für ihren Text „Luke 5“, in dem ein Hafenarbeiter seine Erinnerungen an die titelgebende Kaschemme und ihre Besucher preisgibt und dabei sowohl die Grobheit des Umfelds als auch Feingefühl für die Menschen zeigt. Ein äußert gelungener Text – sowohl in Bezug auf das ausgeschriebene Thema als auch in Sprache und Form. Wir hätten noch viel länger über die Vorzüge des Textes diskutieren können…
Die beiden Förderpreise erhalten Helene Proißl für „am wasser“ und Joachim Off für „rücklings: leibhaftig“. Beide Texte sind äußerst mutig und offenbaren – in unterschiedlicher Form – eine besondere Herangehensweise oder Kreativität. Selbst wenn deren Umsetzung in manchen Details noch nicht vollständig ausgereift ist, das Ergebnis ist in jedem Fall so viel und Talent versprechend, dass es unbedingt gefördert werden soll. „am wasser“ beweist eindrucksvolle Sprachkunst und nimmt uns mit auf eine außergewöhnliche Urlaubsreise, „rücklings: leibhaftig“ hingegen widmet sich einem weitaus brisanteren Thema, dem Mord aus Mitleid, und erspart weder dem mordenden Altenpfleger noch uns Leser*innen das moralische Dilemma.
Nicht wie immer – um die einleitende Phrase wieder aufzugreifen – verlief auch die Preisverleihung: Der Festakt musste abgesagt, die Preise ohne persönliche Übergabe verliehen werden. Dass damit ein wesentlicher Teil des Harder Literaturpreises verloren gehen und nur ein Torso übrig bleiben sollte, stimmte das gesamte Team traurig. Sowohl die bemerkenswerten Texte als auch die Persönlichkeiten ihrer Schöpfer*innen sollten auf keinen Fall nur der Jury vorbehalten sein, sondern sowohl den Harderinnen und Hardern wie überhaupt allen interessierten Leserinnen und Lesern präsentiert werden. Und daher gibt es dieses Jahr – nicht wie immer – eine Online-Variante des Literaturfestivals HardCover: mit den Lesungen der Preisträger*innen und anderen Beiträgen der ursprünglich zum Festival eingeladenen Autor*innen.

Nicht wie immer waren und sind also der Ablauf, die Preisverleihung und das Festival; wie immer riesengroß aber ist die Freude über die vielen Einsendungen, über die gelungenen Texte und darüber, sie Ihnen präsentieren zu dürfen. – Übrigens nicht nur hier und online, sondern wie immer auch in gedruckter Form. In der türkisblauen Sonderausgabe der miromente** können Sie die prämierten Texte und weitere fünf Wettbewerbsbeiträge nachlesen, egal wo Sie sind: zuhause auf der Couch oder unter freiem Himmel am Wasser. 

(Manuela Schwärzler, Vorsitzende der Jury)

[*] Die Jurymitglieder waren 2020: Frauke Kühn (GF literatur:vorarlberg netzwerk), Manuela Schwärzler (Germanistin, Universität Innsbruck), Tabea Steiner (Autorin, CH),  Jürgen Thomas Ernst (Autor), Constantin Göttfert (Autor) und Manuela Schwärzler (Juryvorsitzende; ja: mit demselben Namen, aber aus Vorarlberg)

[**] Die Sonderausgabe „Am Wasser“ kostet € 6,- (zuzgl. Porto) und kann per E-Mail bestellt werden: info@miromente.at